1893 - der Drechslerzeitung entnommen
Der folgende Artikel entstammt der Ausgabe Nr.3 vom 01.Februar 1893 (Buch mit Sammlungen 1894) aus dem Besitz von Josef Miller, Thannhausen.
Abgeschrieben: Steffen Huber
Wann hat der Lehrling ausgelernt?
Diese Frage ist wiederholt aufgeworfen und sind die Meinungen hierüber sehr verschieden, trotzdem doch Alles, was die Lehrzeit eines Lehrlings betrifft, meistens kontraktlich festgestellt ist. Lehrlinge z.B., deren Meister einer Innung angehören, sollen "nach vollendeter" Lehrzeit ein Reifezeugnis ablegen, ja, es liegt doch in den Worten "nach vollendeter" schon ausdrücklich drin, daß der Lehrling erst seine volle Lehrzeit zurücklegen muß, ehe er sein Gesellenstück machen, oder das jeweilig verlangte Reifezeugnis ablegen kann. Eine andere Meinung geht dahin, daß der Lehrling sein Gesellenstück machen muß, solange er noch in der Lehre ist, gewissermaßen als Abschlußarbeit; mag ja auch richtig sein in dem Sinne, hat aber heute nicht mehr die praktische Bedeutung von früher, wo ein Lehrling noch 1/2 bis 1 Jahr nachlernen mußte, sobald sein Gesellenstück nicht zur Zufriedenheit der Prüfungskommission ausfiel. Heute gilt das Gesellenstück nur noch als Beweisstück, in welchem Grade der Lehrling zum Gesellen gemacht oder geworden ist. Jedenfalls darf einem Lehrling, welcher seine volle Lehrzeit beendet hat, das Prädikat "Geselle" nicht mehr vorenthalten werden, wenn schon es manchmal recht Noth thäte zum ferneren Wohle eines jungen Mannes, welcher seine Lehrzeit sozusagen verbummelte, trotz reichlicher Ermahnungen seitens des Meisters, andererseits wieder würden sonst ganz tüchtige Jungen sich besonders in Acht nehmen, um nicht in die Verlegeheit zu kommen, nachlernen zu müssen.
Im großen Ganzen ist das Gesellenstückmachen auch nur noch so ein alter Zopf, welcher recht gut abgeschnitten werden könnte, wogegen doch des Lehrmeisters Zeugnis schwerwiegender ist, als das beste Gesellenstück, denn das Erstere ist die Summe der ganzen Lehrzeit, während das Letztere nur das Ergebniß weniger Tage, von Fremden beurtheilt, ist (Prüfungskommission).
Daß also der Lehrling nach heutigen Begriffen seine Lehrzeit voll und ganz erfüllen muß, geht daraus deutlich hervor, und ist es sein freier Wille, wenn er dann noch ein Gesellenstück machen will, sei es dann, daß ihm der Meister noch während seiner Lehrzeit hierzu die Zeit bewilligt, wie es ja auch meistens und fast in jedem einzelnen Falle geschieht, ein Recht aber, dies zu verlangen, hat so wenig der Lehrling, als später der Meister.
Demnach hat ein Lehrling heute ausgelernt (in dem Sinne), sobald er seine Lehrzeit laut Abmachung beendet hat, wonach ihm der Meister nur ein Führungsattest zu geben befugt ist.
A.Th.
Bild zur Meldung: Artikel Drechslerzeitung 1893