Raum zum Gedenken
Mehrere junge Menschen haben in den vergangenen Jahren während ihrer Ausbildung oder Schulzeit an der Berufsschule Bad Kissingen ihr Leben verloren.
Arbeitsunfälle spielten dabei keine Rolle; fast immer waren es Verkehrsunfälle, die dazu führten, dass ein Schüler plötzlich aus dem Klassenverband gerissen wurde. Daher entstand die Idee, einen Platz in der Schule zu gestalten, der zur Trauerbewältigung beitragen kann.
Die Großskulptur besteht aus drei Stelen, einer gedrehten Schale und kleinen Kugeln, sie wird von einer eigenständigen Wandverkleidung eingegrenzt.
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Unser Leben ist gezeichnet von einem ständigen Auf und Ab.
Glasbänder auf den Stelen sollen diese Lebenslinien darstellen. Gestaltet wurden sie aus unterschiedlich farbigem Glas, aufgebaut aus mehreren miteinander verschmolzenen Schichten.
Kontrastreiche Farbverläufe unterstreichen das Widersprüchliche im Leben.
Montiert sind diese Wellen an Ahornstelen. Der Stamm dafür wurde eigens ausgesucht, eingeschnitten, gelagert und getrocknet. Die Oberfläche der Stelen wurde aufgeraut und matt gehalten. Das Holz ist gebleicht sowie mit weiß eingefärbtem Öl eingelassen und gebürstet.
Die obere große Kugel scheint durch die wellenförmige Oberkante der Stelen in ständiger Bewegung zu sein. Sie wurde aus stockigem Apfelholz gedreht und steht sinnbildlich für unsere Gesellschaft, die sich immerzu in Veränderung befindet. Gleichermaßen stellt sie aber auch die Vergänglichkeit des Seins dar. Aus ihrer Fläche brechen kleinere Kugeln heraus. Es fehlt etwas, es fehlt jemand. Es fehlt ein Banknachbar, es fehlt der Freund.
Die große Schale fängt jede einzelne Kugel auf, steht für Gott, der jeden Menschen im Tod auffängt. Für nicht Gläubige Menschen ist das Symbol des Aufgefangen - Werdens ebenfalls positiv besetzt.
Für jeden Schüler, der nicht mehr unter uns weilt, liegt eine Kugel in der Schale. So finden in einer kleinen Gruppe die Kugeln wieder zusammen und bleiben in der Erinnerung Teil unserer Gemeinschaft.
Der Schalenrand ist breit gehalten, es wurden vier unterbrochene Glassegmente eingelassen. Diese Segmente stellen die Verbindung zu den Lebenswellen her. Durch die Glaszwischenräume entsteht ein Kreuz. Die Schale wurde aus mehreren Schichten Kambalaholz verleimt und gedreht mit 100 cm Durchmesser und 20 cm Dicke.
Die Wände der Gedenkecke sind mit dünnen Leisten aus Yellow Poplar verkleidet, sodass ein ruhiger Raum entsteht. Der Aufgabe des Planens und Anfertigens der Skulptur haben sich Schülerinnen und Schüler des dritten Lehrjahres der Drechsler- und Holzbildhauerklassen in Bad Kissingen angenommen.
Die mehrmonatige Entwurfsarbeit hat dabei die meiste Zeit in Anspruch genommen. Verschiedenste Materialien und Materialkombinationen wurden getestet und unterschiedliche Modelle angefertigt. Es zeigt sich wieder, dass die Entwurfsarbeit immer den größten Teil in der Kette aller Arbeitsschritte eines neuen Projekt einnimmt. Der gut durchdachte Entwurf sichert auch die Einmaligkeit und die Eigenständigkeit dieser Arbeit: Die Gedenkecke ist ein Unikat.
Bei der Umsetzung einer solchen Arbeit ist ein gewisses Maß an Mut erforderlich. Denn jeder, der das Schulhaus betritt, wird bei der Betrachtung der Gedenkecke aufgefordert, sich neben der Gestaltung auch mit der Thematik Leben und Tod auseinanderzusetzen.
Dank sei den Schülern ausgesprochen, die bei der Umsetzung große Ausdauer und Sensibilität bewiesen haben. Auch gilt es, der Schulleitung zu danken. Sie hat die Materialkosten im Vorfeld genehmigt, den Schülern bei der Gestaltung freie Hand gelassen und ihnen so Vertrauen bei diesem anspruchsvollen Projekt geschenkt.
Die Gedenkecke wird auf der LIGNA 2013 in Hannover in der Sonderschau "Wonders in Wood" ausgestellt werden.
Wolfgang Miller